Horkheimer verfolgte über lange Jahre den Plan, ein Buch über dialektische Logik zu schreiben, „wie Hegel in seinem großen Werke“. Dieses Buch konnte aus finanziellen Gründen schließlich nur teilweise realisiert werden – in Form der mit Adorno zusammen verfassten Dialektik der Aufklärung.
Horkheimers radikales materialistisches Verständnis von Logik ist von großer Tragweite sowohl für Hegels Logik als auch für die bisher „ergebnislose“ Suche nach der von Marx immer wieder angekündigten Logik.
Denn Horkheimer zeigt die gesellschaftstheoretische Substanz von Hegels Logik auf, die gegen Hegel selbst nicht mehr als reines Denken erscheint. Und Marx hat tatsächlich schon unzählige Vorarbeiten zu seiner materialistischen Logik geleistet, nur sehen diese eben ganz anders aus als Hegels Logik.
Horkheimer plante seine materialistische Logik als „materielle Kategorienlehre“. Also gerade nicht als Metaphysik, wie sie bei Hegel gemeint ist. Horkheimer stellt sich ganz deutlich gegen eine metaphysische Logik und gegen einen für alle Zeiten gleichbleibenden Sinn der Kategorien.
Sondern er versteht die Logik als Kategorienlehre, als Ausarbeitung von Kategorien, die in der „wissenschaftlichen und politischen Diskussion gesellschaftlicher Probleme“ gebraucht werden, aber äquivok (mehrdeutig) und vage. Es herrscht eine große Unklarheit über sie und es treten sofort Meinungsverschiedenheiten auf, wenn man sie definieren soll.
Horkheimer zählt einige Begriffe auf, die er darin diskutieren will: Kausalität, Tendenz, Fortschritt, Gesetz, Notwendigkeit, Freiheit, Klasse, Kultur, Wert, Ideologie, Dialektik. Einige davon findet man auch in Hegels Logik, andere könnte man sich dort überhaupt nicht vorstellen (wie Klasse oder Kultur).
Diese Logik ist auch nicht so gedacht, dass in ihr die Kategorien frei im reinen Denken und in einer rein logischen Bewegung dargestellt werden, also unabhängig von der Hegelschen ‚Realphilosophie‘. Sondern die Kategorien haben nach Horkheimer nur dann Sinn, wenn man sie „durch fortwährende Beziehung des Sinnes auf die Realität lebendig erhält“: „Eine Bestimmung der philosophischen Begriffe ist immer zugleich eine Darstellung der menschlichen Gesellschaft in ihrer geschichtlich gegeben Verfassung.“
Horkheimer gibt dieser Logik auch eine politische Funktion, sozusagen im Sinne eines Klassenbewusstseins. Denn in seiner Logik sollen die „inhaltlichen Kategorien des fortgeschrittensten Bewusstseins“ entfaltet werden. Das heißt, Horkheimer entnimmt die Kategorien diesem Bewusstsein und entfaltet sie für eine größere Klarheit dieses Bewusstseins.
Seit 1939 befand sich Horkheimer im kontinuierlichen Gespräch mit Adorno, in denen sie an Kategorien wie Individuum, Gesellschaft, Eigentum, Mensch, Sprache, Natur/Kultur gearbeitet haben, und überlegt haben, wie die Kategorie in der Gesamttheorie zu behandeln wären. Von diesen Diskussionen sind hochspannende Protokolle überliefert.
Horkheimers Projekt einer materialistischen Logik hat aber auch eine große Tragweite für das Verständnis von Hegels Logik selbst. Denn Horkheimer verweist hier auf eine Lektüre von Hegels Logik, die diese – wie es üblich ist – nicht als Metaphysik und reines Denken versteht, sondern die sich auf eine historisch gesättigte Gesellschaftstheorie bezieht. In diesem Sinne kann man sagen: Hegel konnte seine Logik nie schreiben ohne seine intensiven ‚realphilosophischen‘ Studien, innerhalb derer er seine logischen Kategorien entwickeln konnte. Aber eben deshalb ist es falsch von Hegel, sie als reines Denken von diesen realphilosophischen Kontexten zu trennen, ebenso wie es umgekehrt Sinn macht, eine autonome Analyse der Kategorien für ihren Gebrauch in gesellschaftstheoretischen Diskussionen vorzunehmen (wenn man sie nicht davon verselbständigt).
Ebenso verändert er in möglicherweise radikaler Weise auch die philologische Frage nach der „materialistischen Logik“, die Marx schreiben wollte: Denn man hat vielleicht bisher immer bei Marx nach Vorstufen einer Logik gesucht, die irgendwie so aussieht wie Hegels Logik. Doch in diesem Horkheimer‘schen Konzept wäre die materialistische Logik eine materielle Kategorienlehre der Gesellschaftstheorie, also in etwa eine Methodenlehre der Gesellschaftstheorie, die eben deren Grundbegriffe klärt. Das ist etwas völlig anderes als Hegels Logik (und steht doch in Beziehung darauf). Vielleicht gibt es also bei Marx deutlich mehr Entwürfe und Vorarbeiten zu der von ihm angekündigten Logik, von der man seit über einem Jahrhundert herumrätselt, wo sie denn sein könnte, und nie finden konnte. Vielleicht war man von Hegel zu sehr beeindruckt und hat einfach den falschen Text gesucht.